aus dem Leben einer fast völlig erblindeten Alzheimer Patientin
Es ist 6.00 abends und ich stehe bei meiner Mutter vor der Wohnungstür. Nachdem ich bereits mehrmals geklingelt habe macht sie mir nach ca. 10 Minuten endlich auf. Ich hatte sie zwar von München aus noch angerufen, daß ich in etwa einer Stunde da sein werde, doch das weiß sie nicht mehr, meine Mutter hat Alzheimer.
Sie steht da im Nachthemd, war wahrscheinlich kurz nach meinem Anruf zu Bett gegangen. Ich sage ihr wie spät es ist und bitte sie sich den Morgenrock anzuziehen und mit mir noch abend zu essen.
Nein, sie bleibt im Bett, sie steht jetzt nicht mehr auf. Draußen ist es noch taghell, wir haben Mai und ein laues Lüftchen weht ins Schlafzimmer….
Ich verbringe den Abend mit Erledigen der Post und sehe noch etwas fern. Gegen 11.00 nachts höre ich sie in der Küche hantieren, kurz drauf kommt sie ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher aus. Sie hat schon wieder vergessen das ich da bin. Fix und fertig angezogen steht sie da und als ich mich bemerkbar mache ist sie richtig irritiert, sie hält mich für einen Geist. Alles gute Zureden hilft nichts, ins Bett gehen will sie nicht mehr denn für sie ist jetzt morgen und der Pflegedienst kommt ja auch bald, meint sie!
Meine Argumente sind für die Katz, sie bleibt auf. Ich mache mir mein Bett auf der Couch und bin kaum eingeschlafen geht das Licht an und dieses Spiel wiederholt sich noch ca. 3 mal bis ich die Wohnzimmertür abschließe. Ich höre sie in der Küche hantieren, das Wasser läuft und dann geht sie hinaus um den Hausflur zu kehren.
Der schrille Klingelton hallt durchs ganze Haus denn das automatische Licht ist ausgegangen und Mama hat auf den nächsten erreichbaren Knopf gedrückt… ich schrecke hoch und schaue nach was los ist. Es ist mittlerweile ¼ nach 2 in der Nacht! Gut das sich die Nachbarn so verständnisvoll zeigen und die Dame, die unter meiner Mutter wohnt, schwerhörig ist. Ich bitte meine Mutter jetzt in der Wohnung zu bleiben und, wohl selbst erschrocken durch das laute Läuten, bleibt sie auch drin.
Doch bald versucht sie mit einem anderen Schlüssel die Wohnzimmertür aufzusperren…. nachdem ich antworte entschuldigt sie sich, sie hätte ja nicht gewußt das ich da bin. Nach einer Stunde hantiert sie erneut an der Tür.
Nach dieser unruhigen Nacht finde ich sie um 7.00 morgens schlafend in der Küche auf dem Stuhl. Drei Tassen stehen neben der Spüle, alle gefüllt mit Sonnenblumenkernen. Sie hat versucht sich ihren Tee zuzubereiten fand jedoch ihren Zitronentee nicht. Ich schütte die Kerne weg, räume die Tassen wieder auf und mache Frühstück. Der Bäcker bringt jeden Tag frische Semmeln, Butter, Marmelade und Göttinger Wurst sind auch immer im Haus; doch wenn ihr niemand das Frühstück zubereitet ißt sie ihre Semmel trocken denn sie weiß nicht mehr wo ihr Essen zu finden ist.
Als wir es uns am Frühstückstisch gemütlich gemacht haben fällt mir auf das Mutter ihr Gebiß nicht trägt. Hat sie wahrscheinlich vergessen und als ich ihre Zähne im Badezimmer suche finde ich im Gebißbehälter meinen Lippenstift aber keine Zähne! Die liegen in der Küche! Ich muß ihr die Semmel in kleine Happen schneiden und sie auch immer wieder auffordern noch einen Bissen zu essen.
Nach dem Frühstück steht abspülen auf dem Programm. Das läßt sie sich nicht nehmen. Oft geht dabei etwas zu Bruch da sie auch nicht mehr sieht was sie wohin gestellt hat. Doch Geschirr haben wir genug und so hat Mama wenigstens noch das Gefühl selbst was tun zu können.
Ihren früheren Gewohnheiten folgend kommt jetzt wieder das Treppenhaus. Sie fegt die Treppen oft fünfmal hintereinander, doch das schadet ja niemandem und so lasse ich sie gerne gewähren wenn`s nicht grad mitten in der Nacht ist. Die Blumen auf dem Fenstersims werden auch gegossen –fünfmal hintereinander- und die vertragen das nun nicht so gut. D.h. man muß die Übertöpfe wieder ausleeren und das Fenstersims abwischen da alles schwimmt!
Auf die Balkonblumen haben wir mittlerweile, aus Rücksicht auf die Nachbarin darunter, auch schon verzichtet.
Eigentlich wollte ich meine Mutter heute baden doch sie will nicht. Gut dann gehen wir eben einkaufen, baden kann ich sie später auch noch, oder morgen….
Als Mama die Schürze auszieht sehe ich das sie den Unterrock über der Bluse trägt und auch die zwei Unterhemden brauchen wir an diesem Tag nicht. Der Rock den sie sich angezogen hat paßt auch nicht mehr, er ist eine Nummer zu klein geworden, das er nicht zugeht scheint sie nicht zu stören…und sie war einmal eine sehr gut gekleidete Frau!
Nachdem ich sie adrett angezogen habe gehen wir ins Dorf. Ich hake sie unter und wir machen einen kleinen Einkaufsbummel. Wenn niemand dabei ist beim Einkaufen, was leider manchmal vorkommt (man kann sie eben nicht einsperren!) kauft sie Unmengen Wurst und Semmeln – sonst nichts.
Ahh, doch!!! Schampo und Badezusatz haben wir auch schon bis ins Jahr 2010! Und auf die Bank zum Geldabholen geht meine Mutter auch gern, oft mehrmals pro Woche!
Die Relation zu den Beträgen, die sie abhebt, fehlt völlig.
Ich beobachte meine Mutter viel wenn ich bei ihr bin und jetzt fällt mir ihre Unsicherheit beim Gehen auf und ich stelle fest, daß sie mitten in der Straße läuft, eigentlich sollte sie allein gar nicht mehr auf die Straße denn sie sieht ja auch fast nichts mehr!
Meine Mama wohnt in einem kleinen Dorf, die Leute kennen sie und bringen sie auch schon mal nach Hause. Ich versuche ihr immer wieder einzubleuen nicht alleine los zu marschieren … muß mir aber eingestehen, daß das zwecklos ist!
Morgen früh weiß sie nicht mehr das Semmeln gebracht werden, sie weiß auch nicht wie spät es ist und geht um 6.00 früh ins Dorf um Semmeln zu holen, wie sie es eben immer getan hat!
Nachdem wir unsere Einkäufe erledigt haben gehen wir langsam wieder Richtung Birkenstein und ich stelle meiner Mutter ein Glas Saft hin. Trinken würde sie von sich aus den ganzen Tag nichts. Ich fange an zu kochen und Mama weicht mir nicht von der Seite.
Die Küche meiner Mutter ist sehr klein, aber als ich sie bitte mich allein zu lassen , weil´s zu eng ist, ist sie beleidigt.
Okay, Tischdecken, Abfall zur Biotonne bringen und schauen ob die Post schon da war. Ich muß sie beschäftigen denn sie hängt mir am Rockzipfel wie ein kleines Kind und das nervt manchmal!!!
Der Tisch ist gedeckt und heute gibt es Spargel mit neuen Kartoffeln und Holländischer Sauce. Für meine Mutter alles klein geschnitten, dennoch muß man immer dabei bleiben da sie sich das Essen oft über den Teller hinaus schiebt und dann liegt mehr daneben oder unter dem Tisch. Ich helfe eben immer wieder ein bißchen nach denn wenn ich das nicht tue und sie öfter mit der Gabel ins Leere sticht gibt sie auf und läßt das Essen stehen.
Gottseidank kann ich sie überreden ein Verdauungsschläfchen zu halten und kann alleine abspülen. Wenn sie „mithilft“ brauche ich die doppelte Zeit.
Aber die Ruhe währt nicht lang, das Blumengießen ist ihr wieder eingefallen. Als ich ihr sage sie soll das bitte sein lassen denn sie hat sie schon gegossen wird sie böse. Sie kann mir ja sowieso nichts recht machen und ich weiß ja eh alles besser.
Diese Ausbrüche habe ich gelernt zu ignorieren und nehme ihr einfach die Gießkanne aus der Hand.
Diskutieren bringt nichts, lieber ablenken und was vorschlagen was meine Mama gerne macht!
Da das Wetter schön ist mache ich den Vorschlag spazieren zu gehen und bitte sie sich anzuziehen. Das klappt heute nicht. Sie findet den Schrank nicht setzt aber ein Kopftuch auf und zieht eine Schürze an. Nein Mama, Kopftuch brauchen wir heute keines und die zwei Schürzen tauschen wir jetzt gegen einen Mantel. Und jetzt noch Schuhe …Mama wäre in Hausschuhen los marschiert.
Wir sind 2 Stunden unterwegs, Kaffeepause beim Cafe Seidl eingerechnet. Mama setzt sich auf den Balkon und ich habe noch einigen Schriftkram zu erledigen und zwei Maschinen Wäsche stehen noch an. Gegen 6.oo Uhr richte ich dann zum Abendessen her und dann kommt noch unser Gehirntraining – Kreuzworträtsel!
Ich frage sie nach den Begriffen und da sie das früher viel gemacht hat kann sie da wirklich noch erstaunlich viel abrufen. Auch kleinere Rechenaufgaben funktionieren noch gut. Gegen ½ 8 Uhr macht sich Mutter fertig fürs Bett. Das geht noch, dann ist sie wenigstens erst gegen 4.00 früh wieder auf!
So oder so ähnlich, mit mehr oder weniger Zwischenfällen, sehen die Tage aus wenn ich bei meiner Mutter bin. Doch das ist leider die Ausnahme, denn ich bin berufstätig und alleinstehend. Außerdem lebe ich zeitweise im Ausland.
Um meiner Mutter so lange wie möglich das Pflegeheim zu ersparen habe ich nun 3 Betreuerinen im Wechsel und für die morgendliche Grundpflege kommt das Rote Kreuz ins Haus. Das Pflegegeld der Pflegestufe 1 reicht nicht mal aus um diese Betreuung durch das BRK abzudecken… und nicht jeder kann sich eine zusätzliche private Betreuung leisten!
Ich bin mir aber sicher das meine Mutter zuhause momentan noch besser aufgehoben ist, da sie sich dort (noch) zurecht findet und unsere Damen sehr viel Geduld aufbringen und sie sehr liebevoll versorgen.
Ich versuche als Betreuerin meiner Mutter momentan alles zu ihrem Besten zu organisieren; doch die immense Bürokratie rund um die Pflege, macht mir das Ganze immer schwerer.
Das Ziel der Pflegeversicherung kann ja wohl nicht sein den Pflegenden das Leben so zu erschweren, daß sie die Angehörigen irgendwann völlig entnervt ins Pflegeheim geben!
Eine Nachbesserung von seiten des Staates ist im Bereich Demenz also mehr als überfällig und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine.
Meine lieben Leser, ich werde hier nicht auf die Pathologie der Demenzerkrankungen eingehen, denn alle Formen der Demenz haben eines gemeinsam: die betroffene Person wird immer unselbständiger und die Angehörigen sind damit in der Regel überfordert und kommen ganz schnell an ihre Grenzen.
Ich kam nach einigen Jahren auch an einen Punkt wo einfach nichts mehr ging…. Schuldgefühle, Ärger, Ungeduld., Ängste… eine ganze Lawine von Emotionen bricht dann über einen herein und man kommt an sein Limit.
Damals, als meine Mutter die Diagnose „Alzheimer“ erhielt hatte ich gerade die Ausbildung zur biodynamischen Körpertherapeutin begonnen. Ich konnte mich der Gruppe mitteilen, wurde verstanden, unterstützt und getragen. Auch begleitende Psychotherapie war Pflichtprogramm und ich habe diese verständnisvolle „Betreuung“
und die Möglichkeit zur Reflektion des eigenen Verhaltens als sehr wichtig empfunden.
Ich besuchte jeden Vortrag zum Thema Demenz und lernte langsam mit den Defiziten meiner Mutter umzugehen und sie anzunehmen!
Ich lernte durch die Krankheit meiner Mutter auch mich besser kennen und achtsamer mit uns Beiden umzugehen – es war ein sehr schwerer Weg und ich bin froh darüber, daß ich ihn nicht alleine gehen mußte!